Donnerstag, 26. März 2009

ERÖFFNUNGSREDE von Christian Schindler

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freunde.

Die Idee zu Complete Control stand eigentlich schon länger im Raum und den Moment der Konkretisierung des Ausstellungskonzepts vermag ich nicht mehr auszumachen.

Auf jeden Fall hatten Diego Castro und ich schon länger ein gemeinsames Projekt geplant und ich freue mich sehr, dass es diesmal nicht bei Worten geblieben ist, sondern eine schöne Ausstellung entstanden ist, in der wir interessante Künstler und KünstlerInnen versammeln konnten, die sich auf die eine oder andere Art mit dem Thema der Überwachung auseinandersetzen.

Überwachung findet in verschiedensten Formen statt, die sich nicht auf ein einfaches Freund/Feind-Schema reduzieren lassen, es geht hier also nicht ausschließlich um eine Unterscheidung von Bürger und Staat, oder Demonstrant und Polizei.
Die Kontrollmechanismen sickern in den Alltag und werden zur eigenen Praxis, machen mürbe und weichen Grenzen auf, die früher als selbstverständlich galten. Wer sich an die Proteste erinnert, welche die Volkszählung von 1987 hervorrief, muss sich mitunter wundern, wie bereitwillig heute Ausweitungen von Kontrollinstrumenten akzeptiert werden. Dies ist selbstverständlich auch eine Frage des Zeitgeists - die 80er Jahre waren ein stark politisiertes Jahrzehnt (16 Jahre Helmut Kohl hatten vielleicht in Bezug auf das politische Bewusstsein auch etwas Gutes).
Die Befürchtungen der damaligen Bürgerinitiativen, dass der verstärkte Datenaustausch zwischen den Behörden des Staates und eine Nutzung von erhobenen Daten für wirtschaftliche Zwecke zum "Gläsernen Bürger" führen würden, wurden im weiten Maße bestätigt.

Heute werden Kundenprofile erhoben anhand der besuchten Webseiten, um auf den Kunden zugeschnittene Werbung zu platzieren. Das Versprechen der freien Existenz im Netz, in der Jeder mit Jedem über alle Themen kommunizieren kann entpuppt sich als beste Daten-Sammel-Maschine, die sich eine Behörde nicht besser hätte ausdenken können.

Auch die Entwicklung neuer Instrumente seitens des Gesetzgebers - freilich unter dem Label "Sicherheit der Bürger" verkauft - ermöglicht eine lückenlose Rekonstruktion eines individuellen Alltag, indem sogenannte Bewegungsprofile erstellt werden, in der Kundenkarten eine nicht unwesentliche Rolle spielen...

Diese und weitere Dinge haben uns dazu veranlasst verschiedene künstlerische Positionen zu präsentieren, die unterschiedliche Facetten dieses Themas beleuchten. Sei es in der Arbeit von Stephan Dillemuth, (der an der Münchner Akademie der Künste ein Professur innehat), die Sie im Eingang bestaunen können, wo wir ein Ensemble aus Überwachungskameras sehen, das mittels Bewegungsmelder aktiviert wird und in dem sich die Bewacher gegenseitig überwachen.

Oder die Arbeit von Francis Zeischegg, welche die Wahrnehmung von öffentlichen Räumen untersucht und mit ihren Interventionen die Grenzen zwischen Kunst, Architektur und sozialer Praxis auslotet. Weiter sehen Sie von Dillemuth eine Papierarbeit, die sie auf dem Boden ausgelegt finden. Die Spuren, die Sie auf dem Papier hinterlassen, geben über ihr Besucherverhalten Aufschluss. Ein Prinzip, das auch in der Städteplanung als "Desire Lines" Anwendung findet.

Eine weiter gefasste Blickweise finden wir in den Arbeiten von Tanja Ostojic, die sich hauptsächlich mit Fragen der Migration befasst und selber lange den beschränkten Bewegungsmöglichkeiten ausgesetzt war, da sie früher nur einen serbischen Pass besaß. Die hier erfahrenen Probleme hat sie dabei zum Mittelpunkt ihres Schaffens gemacht, wie in der hier gezeigten Arbeit, die einen illegalen Grenzübertritt thematisiert.

Die Video-Arbeit von Ulf Aminde "WEITER" wiederum zeigt eher das Einsickern von Kontrolle und Normierung in alle Lebensformen, wenn wir amüsiert betrachten, wie ein paar Punks "Reise nach Jerusalem" spielen sollen und dies natürlich bereitwillig sabotieren durch das Nicht-Einhalten von Regeln. Letztendlich wird die widerständige Pose an dieser Stelle zur Farce, weil die Protagonisten sich ja genauso verhalten, wie man es von Ihnen als Punks erwartet.

Die Klanginstallation "POLIZEI" von Diego Castro, die sie in der Galerie hören ist eine Untersuchung des juristischen Spielraums, die ein in der Bundesrepublik zensiertes Lied fragmentiert hörbar macht, um dadurch die Zensur zu umgehen. Es handelt sich dabei um das Stück "Polizei, SA, SS" der Hamburger Punkband SLIME.
Durch die zufällige Reihenfolge der abgespielten Tonspuren, wird aber auch gleichzeitig die Eventualität eines unbeabsichtigten Gesetzesbruchs mit einkalkuliert. So wird der Galerieraum als Zone staatlicher und juristischer Kontrolle befragt.

Bleibt noch die Arbeit von Simon Senn - eine Videoprojektion, die sie übrigens ausprobieren können. Mit einer Fernbedienung können Sie zwischen verschiedenen Kameras wechseln, mittels welcher sich die nackten und vermummten Personen durch die Flure eines verlassenen Hauses jagen. Eine wirklich sehr schöne Arbeit, die changiert zwischen belustigendem Spiel, Verfolgungswahn und Jagdfieber. Und außerdem eine seiner ersten Ausstellungen überhaupt, worüber ich mich auch sehr freue.

Zu guter letzt möchte ich mich bei den Künstlern bedanken, von denen leider nicht alle anwesend sein konnten. Das ist aber ein Grund mehr die anwesenden Künstler hervorzuheben: Diego Castro und Simon Senn, die auch bei der technischen Umsetzung mitgewirkt haben und ohne deren Hilfe dieses Projekt so nicht zustande gekommen wäre.


Ein besonderer Dank auch an die Karin Abt-Straubinger-Stiftung und der Göttinger Kulturstiftung, die durch die großzügige finanzielle Hilfe diese Ausstellung ermöglicht haben.



Mittwoch, 11. März 2009

COMPLETE CONTROL




Complete Control (22.3. - 3.5.)

Überwachung und freiwillige Selbstkontrolle

(Eröffnung: 22.3. / 12h, Finissage am 3.5.)

Im Zeichen der vielbeschworenen Informationsgesellschaft ist die Konfrontation mit neuen Wegen der Information und deren Auswirkung auf private und öffentliche Räume eines der wichtigsten gesellschaftspolitischen Themen, denen die moderne Demokratie ausgesetzt ist. Zwei zentrale und miteinander konkurrierende Konzepte sind sicherlich die Begriffe ‚Freiheit’ und ‚Sicherheit’, deren herkömmlichen Definitionen zur Zeit durch die Ausformulierung einer neuen sicherheitspolitischen Agenda zur Disposition stehen. Verhandelt werden hier ebenso digitale und öffentliche Räume und deren Ausgestaltung; eine Debatte, die nicht weniger als einen Kampf um Deutungshoheit darstellt.

Die Vielgliedrigkeit der Diskurse reicht von der zunehmend flächendeckenden Kameraüberwachung urbaner Konsumräume, digitaler Einflussnahme mittels Bundestrojanern über städtebauliche Interventionen zur Regulierung öffentlicher Sicherheitszonen bis hin zur Frage nach der richtigen strafrechtlichen Verfolgung von Sprayern, die sich außerhalb einer bananenfarbenen hochkulturellen Wärme bewegen.

Ein interessantes Phänomen hierbei, neben der Dialektik von erhöhter Sicherheit und erhöhter Angst, ist die zunehmende freiwillige Selbstkontrolle, abzulesen an der bereitwilligen Öffnung des letzten privaten Raumes, nämlich der eigenen Identität...

Mit freundlicher Unterstützung der Karin Abt-Straubinger-Stiftung und der Göttinger Kulturstiftung.

Mit Stephan Dillemuth , Diego Castro, Tanja Ostojic, Francis Zeischegg, Ulf Aminde, Simon Senn

Kuratiert von Christian Schindler und Diego Castro.

Begleitprogramm:

Im Rahmen der Filmreihe 'ueberMacht' von dieGesellschafter.de im Kino Lumière:

STRANGE CULTURE / FREMDE KULTUREN (USA 2007), 24.4. / 20h

Finissage mit Abschlusspräsentation des Ausstellungsprojekts STADTMACHTKUNST von a7.austellungen e.V., Hildesheim, und Künstlergespräche u.a. mit Tanja Ostojic